Baden-Württembergs besondere Verantwortung zum Schutz von Zikaden

Nickel H., Bückle C. 2014. Naturschutz und Landschaftspflege in Baden-Württemberg 77: 207-280.

 

Zusammenfassung

Auf insgesamt sieben jeweils mehrtägigen Kampagnen zwischen Mai und Oktober 2012 wurden in Baden-Württemberg an insgesamt mehr als 60 Standorten Zikaden erfasst. Im Vordergrund stand eine vorläufige Abschätzung der Bestände von insgesamt acht Arten, für die das Land Baden-Württemberg insofern eine besondere Schutzverantwortung trägt, weil in ganz Deutschland nur weniger als jeweils drei Fundorte, allesamt aus Baden-Württemberg, bekannt sind.

Ebenfalls einbezogen wurde eine neunte Art, von der auch jeweils ein Einzelfund aus der Vorderpfälzer und südhessischen Oberrheinebene bekannt ist sowie eine zehnte, die in Deutschland nur von drei Pfälzer Fundorten unmittelbar westlich des Rheins bekannt ist und deren Vorkommen in Baden-Württemberg zu erwarten ist. Gesammelt wurde meist spezifisch und sehr kleinräumig an Sonderstandorten und speziellen Wirtspflanzen. Von den zehn Arten, die im Fokus der Untersuchung
standen, wurden sieben gefunden. Zumindest für eine davon, die Südliche Erdseggen-Spornzikade (Kelisia hagemini Rem. & J.), war die Frequenz an der Wirtspflanze und die Anzahl der Fundorte so hoch, dass ein unmittelbares Aussterben nicht zu befürchten ist. Die Karstspornzikade (Megadelphax haglundi [J. Shlb.]) konnte an den beiden schon bekannten Fundorten bestätigt und an einem weiteren Ort neu gefunden werden. Aufgrund ihrer sehr speziellen Habitatansprüche ist ihre Bestandssituation aber wohl als kritisch einzuschätzen. Insbesondere wäre hier dringend durch gezielte Untersuchungen
zu klären, ob diese Art durch zu intensive Schafbeweidung zurückgedrängt wird. Die Echte Rindenspornzikade (Cixidia pilatoi D‘Urso & Gugl.) konnte an ihrem einzigen Fundort in Deutschland, den Badberg-Südhängen im Kaiserstuhl, bestätigt werden, wobei Daten zur Biologie gewonnen werden konnten und festgestellt wurde, dass der besiedelte Bereich größer ist als bisher angenommen. Trotz intensiver Suche, besonders auch an naturnahen Standorten ihrer Wirtspflanze, konnte die Sanddorn-Maskenzikade (Macropsis mulsanti [Fieb.]) nur an einem der beiden schon bekannten Fundorte bestätigt werden. Sehr positiv hingegen waren die Ergebnisse für die Thengraszirpe (Maiestas horvathi [Then]), von der sieben neue Vorkommen gefunden wurden. Dabei gelang es erstmalig für die Art, die Wirtpflanze zu identifizieren, außerdem wurde diese bisher in Deutschland als psammobiont (auf Sandstandorte beschränkt) betrachtete Art auch auf mehreren Kiesstandorten gefunden. Ebenfalls sehr erfreulich war nach 35 Jahren und mehreren gezielten, aber erfolglosen Nachsuchen der Wiederfund der Pannonischen Felsenzirpe (Phlepsius intricatus [H.-S.]), ebenfalls auf dem Badberg, allerdings nur in einem sehr kleinen Areal. Von der Maskenschlängelzirpe (Hardya melanopsis [Hd.]) konnte ein drittes Vorkommen für Deutschland gefunden werden und wichtige Beobachtungen zur Wirtspflanzen- und Habitatpräferenz
gemacht werden, die zukünftige weitere Suchen erleichtern und vermutlich eine Standorteingrenzung per Luftbild erlauben. Für die in Deutschland bisher nur im Kaiserstuhl bekannte Pfeilgraszirpe (Arocephalus sagittarius Rib.) konnte ein weiterer Fundort in der südlichen Oberrheinebene entdeckt werden. Nicht gefunden werden konnten die Französische Spornzikade (Litemixia pulchripennis Asche) und die Blutrote Blattzikade (Fruticidia sanguinosa [R.]). Zumindest für die erstgenannte scheint das Optimalhabitat, lichter Kiefernwald auf sauren, wechselfeuchten Standorten mit Pfeifengras (Molinia spp.), in Baden-Württemberg zu fehlen.

Insgesamt wurden 318 Arten festgestellt, davon waren vier Neufunde für Deutschland, darunter die drei Neozoen Metcalfa pruinosa (Say), die aus Nordamerika stammende Bläulingszikade, Edwardsiana tshinari Zachv., die aus Mittelasien  stammende Usbekenlaubzikade und Penestragania apicalis (Osb. & Ball), die Amerikanische oder Gleditschien-Lederzikade. Die letztere stellt sogar einen Neufund für ganz Europa dar. Beim vierten Neufund für Deutschland handelt es sich um die vor allem in Südosteuropa vorkommende Karpatenkragenzirpe (Anoplotettix horvathi Metc.). Dreizehn weitere
Arten stellten Neufunde für Baden-Württemberg dar. Damit sind für Baden-Württemberg inzwischen 506 Zikadenarten belegt.

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